Die Good-News-Krise

und wie demokratisches Miteinander (nicht) geht

Hallo - schön, dass du da bist. Ich bin Sarah Kessler - Journalistin in Hamburg - und dies ist dein monatlicher Guide zu politischem Engagement und Lifestyle.

In dieser Ausgabe geht es hierum:

  • Vereint für die Demokratie? Nicht mit der CDU!

  • Die Good-News-Krise

  • Interview mit dem Musiker Moh Kanim: Schwarz zu sein ist automatisch politisch

Viel Spaß beim Lesen. Dir wurde dieser Newsletter weitergeleitet?

Und vergiss nicht, ihn an alle weiterzuleiten, die eine Dosis Inspiration zu mehr politischem Engagement und Lifestyle vertragen können - oder einfach Spaß an den Themen haben 🌸❤️

Pulse Check: Demokratiebarometer

Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. […] Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.

Erich Kästner

The biggest Fuck-up3 :

  1. Demokratisches Miteinander: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern! So schwer es mir bei der letzten Ausgabe gefallen ist, mich auf ein Fuck-Up fest zu legen, so leicht fällt es mir dieses Mal: Die CDU hat die Gespräche mit der Ampel abgebrochen, bei denen es um die Möglichkeit einer Grundgesetzänderung gehen sollte, um das Bundesverfassungsgericht besser vor Einflussnahme von extremistischen Parteien zu schützen. Eben diese Gespräche hatte ich im Februar-Newsletter noch im Highlight erläutert. Ich verlinke die entsprechende Ausgabe hier. Doch nun sind sie ergebnislos beendet. Denn für die entsprechenden Gesetzesänderungen bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit und somit die Stimmen der CDU – die es nicht geben wird. Dabei gibt es ausreichend Studien dazu, dass es extremistische Parteien bei Regierungsbeteiligung zuerst auf die Justiz abgesehen habe, um sich den eigenen Machterhalt zu sichern. Nach Aussagen der CDU sei unsere Demokratie robust genug. Außerdem sollte man auf überzeugende Sachpolitik setzen, statt öffentliche Debatten über Grundgesetzänderungen, wird die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Andrea Lindholz (CSU) in der tagesschau zitiert.

    Kurz hatte ich nach der Veröffentlichung der correctiv-Recherchen zu dem Geheimtreffen der extremen Rechten die Hoffnung, dass sich die demokratischen Parteien im Einsatz für die Demokratie vereinen. So war es der CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der die AfD als „Nazi-Partei“ klar benannte. Armin Laschet (CDU-MdB) stellte sich in dieser emotionalen Rede bei einer anti-rechts Demo klar gegen die AfD. Doch das demokratische Miteinander hielt wohl nicht lange. Und nicht nur zwischen der Regierung und der Opposition. Auch innerhalb der Koalition kriselt es weiter: So irritiert es schon arg, wenn der an der Regierung beteiligte (!) FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai für eine schwarz-gelbe Koalition wirbt – und damit gegen seine eigene aktuelle Regierungspartner*innen.  

  2. Terrorverdächtige AfD-Kandidatin verbessert Wahlergebnis. Ja, die Berliner Teil-Wiederholungswahl der Bundestagswahl hat nur eine beschränkte Symbolkraft. Deshalb will ich die Ergebnisse hier gar nicht lang und breit diskutieren. Interessierte finden hier eine gute Zusammenfassung von Deutschlandfunk. Doch eine Erkenntnis ist so grotesk, das ich sie in den Fuck-Ups aufgreifen möchte: Die Politikerin Birgit Malsack-Winkemann (AfD) sitzt aufgrund Terrorverdachts in Untersuchungshaft. Sie war mutmaßlich an radikalen Umsturzplänen beteiligt, die im Dezember 2022 bekannt wurden. Zuvor trat Malsack-Winkemann bei der Bundestagswahl 2021 an, zog jedoch nicht in den Bundestag ein. Bei der Teil-Wiederholungswahl vom 11. Februar konnte die Terrorverdächtige nun ihr damaliges Ergebnis verbessern. Mehr dazu hier.

  3. Werteunion ist jetzt eine Partei. Und der Vollständigkeit halber: Seit dem 17. Februar ist die „Werteunion“ nun eine Partei. Parteivorsitzender ist der ehemalige Präsident des Verfassungsschutzes Hans Georg Maaßen (der inzwischen selbst vom Verfassungsschutz als Extremist eingestuft wurde) und der einer Zusammenarbeit mit der AfD sehr offen gegenübersteht.

Demokratische Highlights: Die Good-News-Krise

Neulich habe ich im Rahmen vom Kölner Karneval unter dem Stempel „Good News“ Werbung für eine Hotline gelesen, an die sich Frauen bei sexuellen Übergriffen melden können. Es traf mich wie ein Schlag. Wie kann das eine gute Nachricht sein? Versteht mich nicht falsch, die Hotline leistet extrem (!) wichtige Arbeit. Es ist wichtig und gut, dass es sie gibt. Aber sie ist doch keine gute Nachricht. Eine gute Nachricht wäre es, wenn Männer sich kollektiv mit falscher Männlichkeit und patriarchaler Gewalt auseinandergesetzt hätten und es diese Hotline nicht mehr brauchen würde.

Ich verstehe schon: Bei all den schlechten Nachrichten und persönlichen wie gesellschaftlichen Fuck-Ups dieser Zeit, lechzen wir alle nach guten Nachrichten. Aber in eigentlich schlechten Nachrichten noch etwas Gutes zu finden, kommt mir in diesen Zeiten zynisch und gar gefährlich vor, wenn der Ernst der Lage dadurch verkannt wird.

Ist es eine gute Nachricht, wenn beim "Rheinland-Pfalz-Monitor 2023" aufgezeigt wird, dass die Mehrheit (89 Prozent) der Befragten die Demokratie als beste Staatsform ansieht, die gleiche Studie aber das weitverbreitete Verschwörungsdenken aufzeigt?

Ist es eine gute Nachricht, dass Deutschland im Demokratie-Index um zwei Plätze nach oben geklettert ist, wenn das nicht an den verbesserten deutschen Strukturen liegt, sondern daran, dass in anderen Ländern noch einschlägigere Verschlechterungen zu verzeichnen sind?

Ich glaube nicht! Ich stecke in der Good-News-Krise.

Was diesen Monat aber tatsächlich gut war: Viel Zeit und qualitative Gespräche mit Freund*innen und Familie. Austausch mit Kolleg*innen und Unterstützung bei einem neuen Projekt, aus einer Ecke, aus der ich sie nicht erwartet hätte. Unterstützung statt Konkurrenz. Im Privaten. Es ist natürlich nicht alles schlecht. Aber gerade eben sehr Vieles. 

Bist du in letzter Zeit über eine besonders gute Nachricht gestolpert? Dann teil sie gerne mit mir und ich mache für die nächste Ausgabe ein Best-of. Vielleicht komme ich - und auch ihr - so raus, aus der Good-News-Krise.

Cut the Bullshit: Schwarz zu sein ist automatisch politisch

Was war zuerst da: Die Kunst oder die Politik? Bei dem sudanesischen Künstler Moh Kanim verschmilzt beides zu einem Ganzen. In seinen Texten (auf deutsch, englisch und arabisch) greift er antirassistische Themen auf - seine Sounds sind experimentell, die Musik vor allem im Bereich Hip-Hop und New Soul angesiedelt. Außerdem ist er Moderator, Model und Videokünstler. Wir haben darüber geredet, woher er seine Inspiration nimmt, wie es ist, als Schwarzer Mann im deutschen Musikbusiness Fuß zu fassen. Darüber, was ein guter Ally ist und was ihm Mut macht.

Moh Kanim. Bilder: Vanessa.fengler Hair: zeezeedoes Design: estherredlph

Lieber Moh, für alle, die dich noch nicht kennen: Wer bist du? In einem Satz!

Ich bin Künstler. Ich glaube, dass man alles, was ich mache, unter diesem Begriff subsumieren kann.

Du hast viele politische Texte. Ist es dein Anspruch mit der Kunst etwas zu vermitteln?

Es geht mir immer zuerst um die Kunst. Kunst ist für mich ein wunderbares Medium, um die Fragen, die ich mir heute stelle, zu bearbeiten. Ich habe an der Universität in Khartum arabische, englische und deutsche Literatur studiert. Das hat meine Arbeit sehr beeinflusst. Denn die Universität war immer eine Insel der Freiheit. Weil die Polizei auf dem Campus nicht agieren durfte, war der Campus ein Ort, an dem man frei reden, denken und, ja, auch knutschen konnte. Natürlich gab es Spitzel, aber zu meiner Zeit an der Uni hielt sich das noch in Grenzen. An der Fakultät hatten wir auch einen Internetzugang, der meinen Horizont sehr erweitert hat - und damit kamen die Fragen: Wer bin ich? Was macht meine Umwelt mit mir? Diesen Fragen habe ich mich spielerisch genähert - in Form von Reimen. Die richtig deepen Themen rund um das Thema Rassismus kamen dann erst dazu, als ich in Deutschland war. Schwarz zu sein, ist hier immer politisch.

Das ist sehr bezeichnend für die Gesellschaft, in der wir hier leben – nicht gerade in a good way.

Ich könnte das ganze Interview mit alltagsrassistischen Situationen füllen. Aber ich will vielleicht nur eine Sache etwas erläutern: Es gibt Anfragen, bei denen du sofort merkst, dass noch eine Schwarze Person im Line-Up fehlt. Da wirst du einfach als Token benutzt, um die Wokeness der Veranstaltenden zu unterstreichen. Das habe ich als junger Künstler ein paar Mal mitgemacht, denn zur Wahrheit gehört auch: Oft waren das gut bezahlte Jobs, die mir Räume geöffnet haben, in die ich sonst nicht reingekommen wäre. Aber wenn ich heute schon bei der Anfrage spüre, dass sich das Event nur mit meiner Hautfarbe schmücken will, bin ich raus.

Vielleicht ist das ein guter Zeitpunkt um zu fragen: Was macht für dich einen Ally aus?

Es ist so simpel: Zuhören! Mehr braucht es oft gar nicht. Hör Betroffenen zu und sprich ihnen nicht ihre Wahrnehmung ab. Es ist zweitrangig, wie du welche Aussage gemeint hast.

Moh Kanim. Credit: privat

Woher nimmst du deine Inspiration?

Wenn ich einen Text schreibe, einen Song beginne oder ein Instrumental baue und die Melodie spüre, ist das für mich wie das Malen eines Bildes. Das Bild, die Farben und die Gefühle in meinem Kopf werden in Form von Audio wiedergegeben.

Und was macht dir Mut?

Aktiv zu sein und zu bleiben. Bob Marley sagte einmal sinngemäß: “The bad people don’t take a break”. Wir müssen konsequent gegenhalten. Mit meiner Kunst kann ich vielleicht ein kleines Bisschen dazu beitragen. Und dann braucht es natürlich Raum für Leichtigkeit: Ich habe auch Liebeslieder, oder ganz simple und alberne Sounds. Das ist mindestens genauso wichtig, um die Kraft zu behalten, weiter aktiv zu sein. Außerdem liebe ich es, bei Konzerten oder Ausstellungen Freund*innen anzufeuern und sie zu bejubeln. Ja, befreundete Künstler*innen bei ihrem Erfolg zu begleiten und zu beklatschen, gibt mir auch Mut. Wir sind nicht alleine.

Das Musikbusiness ist doch mega hart, oder? Was ist dein größtes Learning?

Niemand wird dir helfen. Du musst selbst an dich glauben und gegen jede Wahrscheinlichkeit wetten. Sonst brauchst du gar nicht anfangen. Aber ich will auch kein falsches Bild vermitteln: Auch als Einzelkämpfer*in hast du verloren. Eine Hand wäscht die andere - wähle dein soziales Netz mit Bedacht. Inzwischen habe ich so eine tolle Community, wir unterstützen uns gegenseitig. Ohne geht es nicht.

Eine letzte Frage: Woran arbeitest du gerade?

Ich setze mich gerade verstärkt mit dem Thema Männlichkeit auseinander. Gerade als arabischer Mann habe ich da viel zu lernen, denn ich bin gesellschaftlich mit vielen Erwartungen und veralteten Attributen konfrontiert. Ich will zeigen: Auch als Mann kann ich weich sein. Härte ist nichts Anstrebenswertes. Aber auch ich habe hier noch viel zu lernen. Und ansonsten: Die nächsten Monate sind eine sehr arbeitsintensive Zeit und ich werde schon bald neue Samples und Sounds herausbringen. So stay tuned!

Das werden wir mit Sicherheit! Danke für das Gespräch, lieber Moh!

Und wer Moh direkt hören will, kommt hier zu seinem Spotify - und wer ihm beim slammen zu sehen will, kann das hier tun:

Glamour Gazette: Pump it up

Nein, das ist kein Werbeblock und ich bekomme für keine dieser Empfehlungen Geld. Da dies dein monatlicher Guide für politisches Engagement UND Lifestyle ist, dürfen aber ein paar ernstgemeinte Empfehlungen nicht fehlen:

Credit: PR

Die Eisdielen haben wieder geöffnet und die Tage werden länger. Frühling, ich kann dich förmlich riechen. Und bis die dicken Knospen der Osterglocken endlich aufgehen, hole ich mir die Blütenpracht als Strauß in die Wohnung, um die Frühlingsgefühle maximal zu zelebrieren. Vor allem die Bouquets der Floristin Tessa Petzoldt lieb ich so! In vielen Betrieben mussten die Urlaubstage ja schon eingereicht werden. Aber wer für die freien Tage noch nicht das richtige Ziel sucht, kann sich durch die Reisehighlights von Club Med inspirieren lassen - ich klicke mich jedenfalls schon seit Tagen durch die Galerien. Mit neuem Schwung in die neue Jahreszeit: Den bringen garantiert die Kunstwerke meiner Freundin Jeannine Platz, die so ungefähr alles kalligraphiert, was das Herz begeht. Zum Beispiel diese mega Pumps mit einem Virginia Woolf Zitat. Seit Jahren träumte ich schon von einer Flowerpot-Lampe. Nach dem ich mir den Wunsch endlich als Pendellampe über dem Esstisch erfüllt habe, steht nun die Tischleuchte auf meiner Wunschzettel. Und wie krass schön ist bitte diese Farbe? Und ja, ich kenne die Debatte darüber, ob der Schleifen-Look nicht zu niedlich ist. Ich liebe ihn trotzdem - und ganz besonders diese wunderschönen Schmuckstücke von Studio Ena.

& action, bitte!

Petitionen, Demos & Co: So kannst du jetzt aktiv werden:

  • So viele Menschen auf der Straße gegen den Faschismus! Und die Demos gehen weiter. Hier findest du die Termine!

  • 5. März: Wie wir Gender Gaps in der Sorgearbeit, Digitalisierung und den Finanzen schließen, diskutiert die Journalistin Sonja Eismann mit der Soziologin Christina Boll, der Digitalexpertin Francesca Schmidt und Laura Rauschnick vom DGB für die Körber Stiftung.

  • Am 8. März ist der Frauen*kampftag. Zu diesem Anlass gibt es in vielen (allen?) Städten Aktionen und Veranstaltungen. Allen Hamburger*innen möchte ich diese Demo ans Herz legen.

  • Und noch ein Aktionstag: Der 31. März ist der Transgender Day of Visibility. Hier gilt wieder: Am besten selbst für die eigene Stadt googlen, was für Aktionen geplant sind.

  • Die Kampagne »92 Tage« ruft thüringische Studierende dazu auf, ihren Hauptwohnsitz in Thüringen anzumelden, um sich aktiv an den anstehenden Wahlen zu beteiligen und die Demokratie im Freistaat zu unterstützen.

  • Wir brauchen ein AfD-Verbot - jetzt! Einen Vordruck, der die Mitglieder des Bundestags dazu auffordert, einen Antrag für ein AfD-Verbot rechtlich vorbereiten zu lassen, findet ihr hier.

Du weißt von (oder planst) eine Veranstaltung? Oder du hast eine spannende Info, die ich in der nächsten Ausgabe teilen sollte? Dann schreib mir!

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Bis zur nächsten Ausgabe,

eure Sarah