Von Populismus und neuen Schulfächern

Hallo - schön, dass du da bist. Ich bin Sarah Kessler - Journalistin in Hamburg - und dies ist dein monatlicher Guide zu politischem Engagement und Lifestyle.

In dieser Ausgabe geht es um:

  • The biggest Fuck-up: Immer mehr Rechtsextreme in Deutschland

  • Neues Schulfach “Beziehungskompetenzen”

  • Ein Herz für den Herbst

Viel Spaß beim Lesen. Dir wurde dieser Newsletter weitergeleitet?

Und vergiss nicht, ihn an alle weiterzuleiten, die eine Dosis Inspiration zu mehr politischem Engagement und Lifestyle vertragen können - oder einfach Spaß an den Themen haben 🌸❤️

Pulse Check: Demokratiebarometer

Es ist fünf vor zwölf! Demokratische Werte sind keineswegs in Stein gemeißelt. Dafür müssen wir nicht einmal mehr zu unseren europäischen Nachbarn wie Polen, Italien oder Ungarn schauen - es reicht der Blick vor die eigene Haustür: Die aktuelle “Mitte-Studie” zeigt, dass es auch hierzulande immer mehr Menschen mit rechtsextremen Überzeugungen gibt. 

Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. […] Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.

Erich Kästner

Das Demokratiebarometer dokumentiert die größten Fuck-ups für unsere Demokratie. Doch da es nichts bringt, im Rückblick zu verharren, gibt es in dieser Kategorie auch ein politisches Highlight. Damit wir sehen, wofür sich der Einsatz lohnt. Denn schlechte Nachrichten lesen wir ohnehin genug! Let’s go!

The biggest Fuck-up: Immer mehr Menschen rechtsextrem

Anfang des Monats dachte ich, das Thema für diese Kategorie sei schon gesetzt: die Aiwanger-Affäre. Mitten in der heißen Wahlkampfphase Bayerns wurde bekannt, dass Hubert Aiwanger (Freie Wähler), stellvertretender bayerischer Ministerpräsident sowie bayerischer Wirtschaftsminister, während seiner Schulzeit ein antisemitisches Flugblatt mindestens mit sich führte - und es mutmaßlich auch verteilt hat. Die Kommunikation in der ganzen Angelegenheit war - gelinde gesagt - ein Desaster in bester Trump-Rhetorik. Aiwanger stellte die Vorwürfe als Schmutzkampagne dar und ging am Ende gestärkt aus der Affäre hervor. Eigentlich stand der Text schon, in dem ich diese Rhetorik und die Gefährlichkeit der Argumentationsmuster (maximale Täter-Opfer-Umkehr), die man aus rechten Kulturkämpfen kennt erkläre. Doch dann warf ich alles über den Haufen und jetzt müsst ihr mit dieser guten Analyse von “Deutschlandfunk” Vorlieb nehmen. Denn dann machte die CDU in Thüringen gemeinsame Sache mit der AfD, die Ergebnisse der “Mitte-Studie” zeigten, dass immer mehr Menschen in Deutschland rechtsextrem sind, Friedrich Merz beherrschte die Schlagzeilen mit rechten Parolen, die so weit von der Realität entfernt waren, dass selbst die Welt, die traditionell eher konservativen Parteien zugeneigt ist, sich gezwungen sah, die Aussage mit einem Faktencheck gerade zu rücken und schließlich sprang auch Christian Lindner auf den Zug der populistischen Parolen auf - wenn auch zu einem anderen Thema. Aber der Reihe nach...

Was war nochmal die Brandmauer? Anfang September fand ein Treffen zwischen AfD und CDU statt, bei dem die Parteien “ohne Brandmauern” miteinander reden wollten. Journalist*innen wurden nicht zugelassen. Eine FAZ-Reporterin schlich sich dennoch ein. Sie beschreibt einen nationalistischen Austausch. Wenig später setzte die oppositionelle CDU im Thüringer Landtag eine Senkung der Grunderwerbsteuer durch, die nur möglich war, weil neben FDP und fraktionslosen Abgeordneten, auch die AfD zustimmte. Soviel zur Brandmauer!

Diese politischen Entwicklungen schlagen sich auch auf gesellschaftlicher Ebene nieder. Das zeigen die Ergebnisse der “Mitte-Studie”. Alle zwei Jahre untersucht die Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung die Einstellungen in der deutschen Gesellschaft – die immer weiter nach rechts rücken. So hat laut Studie jede zwölfte Bürger*in ein rechtsextremes Weltbild.

Da passt es ins Bild, dass CDU-Chef Friedrich Merz mit rechten Parolen die Grenze des Sagbaren verschieben will. Im “Welt-Talk” hatte Merz eine Eindämmung der illegalen Migration gefordert. Er behauptete, dass sich 300.000 abgelehnte Asylbewerber*innen “die Zähne neu machen lassen” würden und deutsche Bürger*innen deshalb keine Termine bekämen. Alle, die diesen Newsletter lesen, wissen das sicher - aber fürs Protokoll: Asylbewerber*innen sind in den ersten 18 Monaten nicht krankenversichert (wenn auch von Zahlungen befreit). Danach erhalten sie eine Gesundheitskarte, die nicht mit einer gesetzlichen Krankenversicherung gleichzusetzen ist. Zahnersatzbehandlungen sind schon nach dem Gesetz nur in medizinischen Notfällen möglich. Die Äußerungen lösten einen medialen Wirbel aus. Auch aus den eigenen Reihen gab es Kritik - das ist wichtig. Dennoch dominierte Merz tagelang die Schlagzeilen. Aiwanger sprang dem CDU-Chef übrigens zur Seite. Wen wundert das?

Ob diese Medienpräsenz Christian Lindner zu einem Vergleich der AfD und der “Letzten Generation” verleitete? Das kann nur spekuliert werden. Fest steht: Auch unser Finanzminister sprang auf den Zug der populistischen Parolen auf. Im Rahmen einer Konferenz von “The Pioneer” sagte er: “Ich will das durchaus provokant mal parallel setzen: Die wollen auch ein anderes Land, die AfD – genauso wie die Klimakleber”. Ähm… richtig! Die “Letzte Generation” protestiert FÜR die Einhaltung der Verfassung. Über die Methoden der Gruppierung will ich an dieser Stelle nicht diskutieren. Die sind sicher diskutabel (führen aber nicht zu weniger Akzeptanz des Klimaschutzes, wie gerne behauptet wird. Wer mehr dazu lesen will: Dieser Artikel dröselt das gut auf!). Doch ihr Ziel ist es, die Regierung dazu zu zwingen, ihre eigenen Gesetze einzuhalten. Namentlich das Einhalten der Klimaziele, die verfassungsrechtlich verankert sind. Sowohl BKA als auch der Verfassungsschutz haben Extremismus bezüglich der “Letzten Generation” deshalb klar verneint. Anders bei der AfD, die in Teilen gar als rechtsextrem eingestuft wurde. Mit ihrer Politik ist sie explizit verfassungsfeindlich. Weshalb Lindner hier den Vergleich erwägt, ist nur mit Medienkalkül und Klientelpolitik zu erklären.

Demokratisches Highlight: Baerbock nennt den chinesischen Präsidenten Xi Diktator

Um demokratische Werte zu verteidigen, muss man klar benennen, was demokratiefeindlich ist. Außenministerin Annalena Baerbock hat im amerikanischen TV-Sender “Fox News” den chinesischen Präsidenten Xi Jinping als Diktator bezeichnet. Die deutsche Botschafterin in Peking wurde daraufhin vom chinesischen Außenministerium einbestellt. Xi zeigte sich empört. Aber was ist dran an der Aussage? Diktatur bezeichnet eine Herrschaftsform, in der demokratische Rechte aufgehoben sind und die Macht über Volk und Staat uneingeschränkt von einem Einzelnen oder einer Gruppe ausgeübt wird. Sie dient in der Regel nur der (unkontrollierten) Durchsetzung der Interessen und Überzeugungen einiger weniger auf Kosten und zum Schaden aller. Das habe ich in meiner Einführungsvorlesung in die Politikwissenschaft bei Prof. Dr. Klaus Schubert gelernt, der auch das Politik Lexikon mit dieser Definition herausgegeben hat.

Tja, Xi - bei einem Land, in dem es faktisch keine Opposition gibt (Stichwort: Einparteienstaat) und alle anderen Kontrollmechanismen abgeschafft sind, kann man politikwissenschaftlich wohl nur von einer Diktatur sprechen. Zeit, das auch mal so zu benennen.

Und bevor mich die ersten wütenden Nachrichten zu diesem Highlight erreichen: Ja, die gleiche Entschlossenheit sollte unser Außenministerium auch gegenüber anderen Regimen an den Tag legen. Zum Beispiel gegenüber Saudi-Arabien oder in Form von konsequenten Sanktionsmaßnahmen gegenüber dem Iran. Aber nur weil dies an anderer Stelle nicht geschieht, ist die Einordnung Chinas als Diktatur nicht weniger wertvoll - und wichtig.

Cut the Bullshit: Beziehungen sind das Fundament unserer Gesellschaft

Unsichere Menschen wählen dominante Politiker*innen und stehen progressiven Entwicklungen tendenziell skeptischer gegenüber. Für eine stabile Demokratie ist also das eigene Selbstvertrauen einer jeden Bürger*in von zentraler Bedeutung. Ein wichtiger Stabilitätsfaktor sind gesunde Beziehungen (und damit sind natürlich nicht nur romantische Paarbeziehungen gemeint, sondern das gesamte Beziehungsgeflecht). Was Beziehungsarbeit mit unserer Demokratie zu tun hat und wie wir unser Selbstvertrauen stärken können, darüber habe ich mit der Sexual- und Paartherapeutin Julia Henchen gesprochen.

Julia Henchen (Credit Annika Fußwinkel)

Liebe Julia, für alle, die dich noch nicht kennen: Was machst du eigentlich? In einem Satz!

Ich bin systemische (Sexual-)Therapeutin, mache also Paar- und Sexualberatung – und im Internet kläre ich über Mythen auf.

Menschen, die gesunde Beziehungen führen, sind resilienter. Du leistest täglich Beziehungsarbeit - leistest also quasi demokratischen Aktivismus, wenn ich das mal so paraphrasieren darf. Was forderst du?

Beziehungsarbeit wirkt sich definitiv auf unsere Gesellschaft aus. Davon bin ich überzeugt. Beziehungen sind immer die Basis des Zusammenlebens, egal ob es sich um Liebesbeziehungen oder andere Beziehungen handelt. Darauf müssen wir mehr achten, auch in unseren Institutionen. Ich fordere zum Beispiel schon lange ein Schulfach „Beziehungskompetenz“, in dem es um Fragen geht wie: Wie rede ich eigentlich? Wie führe ich eine Kommunikation? Wie entschuldige ich mich? Wie gehe ich mit Menschen um? Woran erkenne ich, dass eine Beziehung dysfunktional ist? 

Können das andere Länder besser?

Ja, durchaus. Um mal ein ganz plastisches Beispiel zu nennen: Ich schaue gerne Reality-TV. Wenn ich die amerikanischen Folgen mit den deutschen vergleiche, ist schon sehr auffällig, dass die Amerikaner*innen viel besser in der Kommunikation sind. Sie können Gefühle viel besser verbalisieren - das hat einen großen Einfluss auf unsere Gesellschaft.

Was kann ich tun, wenn ich an meinen eigenen Beziehungen arbeiten möchte?

Für jede gesunde Beziehung ist es ganz wichtig, dass man sich zuerst seiner selbst bewusst wird, dass man sich reflektiert und seine Gefühle wahrnimmt und versucht, diese zu verbalisieren. Der Dialog ist das Zentrum.

Politische Gegensätze in der Partnerschaft: Kann das funktionieren?

Es kann funktionieren, wenn man gut im Dialog ist. Wenn man gut im Zuhören ist und andere Meinungen akzeptieren kann - und sich gleichzeitig gut davon abgrenzen kann. In Partnerschaften kann das teilweise klappen, wenn man nicht zu weit auseinander ist. Aber wenn die Werte zu sehr auseinander gehen, wird es schwierig. 

Hast du das Gefühl, mit deiner Arbeit einen Dienst an unserer Demokratie zu leisten?

Ich bin von Haus aus Sozialarbeiterin. Als solche lernt man von Anfang an, dass wir etwas für die gesamte Gesellschaft tun. Das unterstütze ich, aber ich finde es auch schwierig, alle Verantwortung auf die arbeitende Gesellschaft abzuwälzen. Denn eigentlich müsste die Politik mehr tun. In den sozialen Berufen arbeiten vor allem viele Frauen, die dann wieder das Kümmern übernehmen. Das sehe ich kritisch - auch wenn es natürlich wichtig ist. Gleichzeitig verstehe ich meine Arbeit schon so, dass ich damit einen Beitrag für unsere Gesellschaft leiste, aber ich habe versucht, mich ein Stück weit aus der Gesamtverantwortung zu ziehen. Denn dieser Druck ist enorm.

*übrigens: Am 20. November erscheint Julias neues Buch. Mehr dazu lest ihr in der nächsten Ausgabe. Aber hier schonmal der Link zum Vorbestellen.

Glamour Gazette: Ein Herz für den Herbst

Nein, das ist kein Werbeblock und ich bekomme für keine dieser Empfehlungen Geld. Da dies dein monatlicher Guide für politisches Engagement UND Lifestyle ist, dürfen aber ein paar ernstgemeinte Empfehlungen nicht fehlen:

Credit: PR

Ganz ehrlich: Ich vermisse es schon jetzt, einfach nur im Kleid aus dem Haus gehen zu können, ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen, welche Jacke eigentlich zum Outfit passt. Aber der Herbst bedeutet auch, dass ich all meine schönen Blazer wieder auspacken kann. Neuerdings bin ich total verliebt in die nachhaltigen Anzüge von Lotta Ludwigson - und Gründerin Charlotte Piller durfte ich neulich bei einem Event auch persönlich kennenlernen, sie strahlt genauso wie die Teile! It’s a wrap! Könnt ihr bitte alle SOFORT Elina Penners Sachbuchdebüt “Migrantenmutti” bestellen? An alltäglichen Beispielen wie dem Kauf eines Schulranzens seziert Elina, wie unterschiedlich die Realitäten von Familien mit Migrationsgeschichte, Alleinerziehenden und der sogenannten "Arbeiterschicht" im Vergleich zu deutschen Mittelstandsfamilien sind - und zeigt, wie politisch Elternschaft ist. “My Body. My Mind. My Power.” Die Massagekerzen von Nevernot sehen nicht nur verdammt schön aus, sie riechen auch super und verwandeln jeden verregneten Herbstabend in einen Spamoment auf der Couch (auf der ihr es euch dann bitte mit Elinas Buch gemütlich macht). Besonders kuschelig wird es mit diesen wunderschönen Kissen von “Mola Sasa” (via White Lable Project). Was mein Herbstherz auch ein bisschen höher schlagen lässt, ist übrigens diese Tasche von Aigner (limitierter Drop kommt im November).

& action, bitte!

Petitionen, Demos & Co: So kannst du jetzt aktiv werden:

  • Das Wichtigste zu erst: Hessen und Bayern - geht wählen! Am 08. Oktober sind dort nämlich die Landtagswahlen. Über die Ergebnisse sprechen wir dann in der nächsten Ausgabe.

  • Sozialversicherungen unter Druck: ver.di lädt am 12. Oktober zu einer Online-Veranstaltung ein, bei der es u.a. um gerechtere Beiträge und Steuern geht, die höhere Einkommen, Vermögende und Unternehmen stärker zur Finanzierung heranziehen.

  • Am 25. Oktober startet das feministische Filmfestival in Berlin. Hin da!

Du weißt von (oder planst) eine Veranstaltung? Oder du hast eine spannende Info, die ich in der nächsten Ausgabe teilen sollte? Dann schreib mir!

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Bis zur nächsten Ausgabe,

eure Sarah